Newsletter 2022

Newsletter Oktober 2022

 

Liebe/r Studienteilnehmer/in,

seit dem letzten Newsletter 2020 sind nun fast zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre in denen jede und jeder von Ihnen unter den oft herausfordernden Bedingungen der Coronapandemie ihr/ sein Leben organisieren musste und sicherlich auch immer wieder an die persönlichen Grenzen des Machbaren und Erträglichen kam. Jede/r konnte die Entwicklungen in der Medizin und das stetig anwachsende Wissen um Verlauf, Behandlung und Vorsorge „live“ verfolgen. Gerade durch diese besonderen Umstände sind wir ihnen sehr dankbar, dass sie weiterhin an der Bayerischen Entwicklungsstudie interessiert waren.

Untersuchungen Phase V

Die Befragung wurde diesmal in zwei Teile aufgeteilt. Zum einen konnten wir Sie in einem ca. 20-minütigen Telefoninterview zu ihrer beruflichen und privaten Lebenssituation seit Beendigung der letzten Phase befragen. Zusätzlich konnten sie uns selbständig anhand eines Online-Fragebogens weitere Fragen beantworten. Von März 2019 bis November 2021 führten wir mit insgesamt 416 Studienteilnehmer/innen ein Interview. Bei 20 Studienteil-nehmer/innen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst befragt werden konnten, haben sich freundlicherweise zumeist die Eltern bereit erklärt, uns, stellvertretend für die Studien-teilnehmer, die Fragen zu beantworten. Die Teilnahme am Online-Fragebogen betrug ca. 75% der am Telefon interviewten Personen. Wir werden diese Erfahrung in Zukunft berücksichtigen.

Danke!

Die Qualität einer Studie ist entscheidend davon abhängig, wie viele Teilnehmer/innen erneut untersucht werden können. Daneben ist die Befragung von gesundheitlich beeinträchtigten Teilnehmer/innen oder deren Betreuungspersonen ein wichtiges Qualitätsmerkmal, um ein möglichst vollständiges Bild der gesamten Gruppe zu erhalten.

Dass sowohl Frühgeborene als auch Reifgeborene an dieser Studie teilnehmen ist besonders wichtig für die wissenschaftliche Qualität. Beide Gruppen unterscheiden sich nur in der Schwangerschaftsdauer bei der Geburt 1985/86. Sie wuchsen unter ähnlichen sozialen und politischen Bedingungen auf.  Dies erlaubt uns herauszufinden, in welchen Bereichen früher und kleiner geboren zu sein Auswirkungen auf die Entwicklung hat oder wo andere Faktoren, z.B. in welche soziale Bedingungen man geboren wurde, Früh-und Reifgeborene ähnlich betreffen.

Besonders möchten wir auch den Eltern und Betreuungspersonen danken, die uns unermüdlich die Treue halten und trotz der großen Herausforderungen, die die vielfältigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihrer Kinder mit sich bringen, immer wieder teilnehmen! Ohne Sie alle gäbe es nicht diese international bekannte und anerkannte Studie!

Wie konnten wir helfen?

In den Gesprächen hörten wir von den besonderen Herausforderungen und persönlichen Erfahrungen von Studienteilnehmer/innen. Teilweise, wenn erfragt, war es uns möglich, individuelle Hilfestellungen zu geben, z.B. bei der Vermittlung von Kontakten zu Gleichgesinnten oder der Beantwortung von speziellen medizinischen Fragen. Ein bedeutender Teil der Studienteilnehmer der Bayerischen Entwicklungsstudie hat inzwischen eine eigene Familie gegründet und einige haben sich mit individuellen Fragen an uns gewandt. Dieser sehr persönliche Kontakt bestärkt uns immer wieder darin, die Studie weiterzuführen.

Wir arbeiten in Deutschland mit dem Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ zusammen und setzen uns für die Belange von Frühgeborenen ein. Mehr und mehr erwachsene Frühgeborene haben sich für den Bedarf nach Austausch mit Gleichgesinnten ausgesprochen. Auf den Internetseiten des Bundesverbandes (https://www.fruehgeborene.de) finden sie unter dem Punkt „Familie“ den Unterpunkt „Erwachsene Frühgeborene“, mit allen Informationen über Kontaktmöglichkeiten und Veranstaltungen (https://www.fruehgeborene.de/familie/erwachsene-fruehgeborene).

Im September 2021 konnten wir Sie zum 3-tägigen Online-Symposium des Bundesverbandes mit dem Thema „Erwachsene Frühgeborene & Lebensqualität“ einladen. Hier bestand die Möglichkeit, die Vorträge der Studienleiter der Bayerischen Entwicklungsstudie Herrn Prof. Dieter Wolke und Herrn Prof. Peter Bartmann über die Themen „Zwischenmenschliche Beziehungsfähigkeit“ und „Berufswahl/ -einstieg von ehemaligen Frühgeborenen“ anzuhören und im Anschluss eigene Fragen zu stellen. Die von ihnen erhaltenen Rückmeldungen zu dieser Veranstaltung waren durchweg positiv und haben uns den großen Bedarf dieser Arbeit erneut verdeutlicht.

Wir arbeiten europaweit mit verschiedenen Verbänden zusammen, um Eltern von Frühge-borenen und erwachsene Frühgeborene zu unterstützen und geben regelmäßig Vorträge oder wirken an der Bearbeitung neuer Betreuungsrichtlinien mit.

Welche neuen Forschungsergebnisse gibt es?

Auf unseren Internetseiten (https://www.bayerische-entwicklungsstudie.de) versuchen wir den Stand der publizierten Forschungsergebnisse für sie immer aktuell zu halten. Das Lesen der gesamten Artikel ist dabei leider (bedingt durch die Rechte von Verlagen) nicht immer kostenlos möglich. Daher möchten wir ihnen in diesem Newsletter wieder zwei aktuelle Publikationen vorstellen.

  1. Verlauf der Beziehungen mit Gleichaltrigen bei sehr Früh- und Reifgeborenen von der Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter

 

Soziale Kontakte sind für die menschliche Entwicklung während des ganzen Lebens von entscheidender Bedeutung. Akzeptanz durch Gleichaltrige und enge Freundschaften im Kindesalter fördern die emotionale Entwicklung und Wohlbefinden. Sie können auch vor Mobbing in der Gruppe schützen. Die erfolgreiche Entwicklung von persönlichen Kontakten führt zu einer besseren sozialen Anpassung in der Adoleszenz und im späteren Leben.

Im Rahmen der Bayerischen Entwicklungsstudie haben wir Eltern und Teilnehmer/innen im Alter von 6, 8, 13 und 26 Jahren zu drei Themen befragt: Akzeptanz durch Gleichaltrige, Freundschaften und Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen. Bei der statistischen Auswertung wurden zahlreiche Einflussfaktoren berücksichtigt: Früh- oder Termingeburt, Geschlecht, sozioökonomischer Status, medizinische Risiken als Neugeborenes, Eltern-Kind-Beziehung mit 5 Monaten, Selbstkontrolle des Kindes mit 20 Monaten und geistige Fähigkeiten mit 20 Monaten.

In der statistischen Analyse, nach Berücksichtigung aller Einflussfaktoren, zeigte sich, dass Kinder, die im Alter von 20 Monaten eine vergleichsweise fortgeschrittene geistige und motorische Entwicklung zeigten, von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter eher von Gleichaltrigen akzeptiert wurden, mehr Freundschaften schlossen und weniger von Gleichaltrigen ausgegrenzt wurden. Der Effekt war kleiner als 10%, aber statistisch signifikant. Weiterhin war eine gute Eltern-Kind-Beziehung im Alter von 5 Monaten mit deutlich weniger Problemen in der Gruppe der Gleichaltrigen von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter verbunden.

Diese Ergebnisse geben Hinweise für einen erfolgversprechenden Ansatz zur frühen Förderung der Sozialentwicklung.

(Quelle: Peer Relationship Trajectories in Very Preterm and Term Individuals from Childhood to Early Adulthood L.C.Reyes, J.Jaekel, P.Bartmann and D.Wolke, J Dev Behav Pediatr 42:621-630, 2021; PMID: 33789321; DOI: 10.1097/DBP.0000000000000949)

 

  1. Fähigkeiten in der Mathematik im Kindesalter und Entwicklung im frühen Erwachsenenalter nach Frühgeburt: Eine Metaanalyse mit den individuellen Daten der Teilnehmer

Diese Studie hat untersucht, wie die Fähigkeiten in Mathematik, erhoben im Alter von acht bis elf Jahren, mit einem Studium (z.B. Fachhochschule oder Universität) nach der Schule und dem Beschäftigungsstatus im frühen Erwachsenenalter assoziiert sind. Dazu konnten die individuellen Daten von 954 (52% weiblich) sehr früh geborenen Erwachsenen (<32 Schwangerschaftswochen oder < 1500g Geburtsgewicht) herangezogen werden. Die Teilnehmer/innen stammten aus sechs Ländern: Australien, Deutschland (die BEST), Großbritannien und Irland, Kanada und den USA. Alle Modellrechnungen wurden für das Geburtsjahr, Schwangerschaftsalter, Geschlecht, mütterliche Ausbildung und den IQ im Kindesalter angepasst.

Dies sind die wesentlichen Ergebnisse:

  • Die mathematischen Fähigkeiten sehr Frühgeborener im Kindesalter sind signifikant positiv mit der späteren höheren Ausbildung assoziiert.
  • Die mathematischen Fähigkeiten im Kindesalter sagen nichts über den späteren Beschäftigungsstatus im Erwachsenenalter aus.
  • Der Intelligenzquotient im Kindesalter von sehr Frühgeborenen ist mit dem Ausbildungsniveau und dem Beschäftigungsstatus assoziiert.
  • In der Analyse zeigten sich sehr große Unterschiede zwischen den eingeschlossenen Studien, den Geburtszeiträumen und den Weltregionen.

Auch diese Studie zeigte wieder ein schlechteres Abschneiden von männlichen Teilnehmern und Kindern von Müttern mit niedrigerem Bildungsniveau. Diese Erkenntnisse sollten bei der Entwicklung zukünftiger Förderprogramme berücksichtigt werden.

(Quelle: Mathematical Performance in Childhood and Early Adult outcomes After Preterm Birth: An Individual Participant Data Meta-Analysis J. Jaekel et al. Dev Med Child Neurol. 2022; 64:421-428;  PMID: 34913160;  DOI 10.1111/dmcn.15132)

 

Wie geht es weiter?

Wir waren in der Einwerbung weiterer Forschungsmittel erfolgreich. Im Rahmen von zwei EU-Ausschreibungen wurden unsere Projektvorschläge positiv begutachtet.

Dies bedeutet, dass wir eine weitere Nachuntersuchung in zwei Teilen durchführen können. Zum einen möchten wir alle Teilnehmer/innen der BEST neu kontaktieren und um Einverständnis bitten, eine Schleimprobe (Spucke) einzuholen. Wie dies per Post geht und warum, werden wir noch erklären.  Dieses europäische Projekt, welches mehr als 20 Studien zusammenbringt untersucht, ob genetische Faktoren zusammen mit Umweltfaktoren die Auswirkungen neuropsychologischer Diversität auf soziale Beziehungen und Anpassung verbessern können.
Im Rahmen des zweiten Projektes möchten wir Teilnehmer/innen bitten, an einer erneuten Untersuchung in München teilzunehmen. Diese planen wir gerade und werden sie bald darüber informieren. Es ist geplant, auch eine Kernspinuntersuchung des Kopfes erstmals oder zum zweiten Mal (bei Teilnehmern des vorletzten Untersuchungsdurchgangs) durchzuführen, um Alterungsprozesse analysieren zu können.
Wie im Telefoninterview des letzten Kontaktes, soll außerdem nach Ihren beruflichen und familiären Entwicklungen gefragt werden.

In den nächsten Monaten, werden wir sie erneut per Telefon kontaktieren, um Ihnen Details mitzuteilen und Ihnen danach noch ausführliche schriftliche Informationen zusenden.

Wir sind uns bewusst, dass diese für die Wissenschaft, aber auch die alltägliche Versorgung wichtigen Untersuchungen, nur durch Ihre Bereitschaft mitzumachen möglich sind. Dafür bedanken wir uns.

Die Studie wird weiterhin von Herrn Prof. Wolke geleitet und das Team in Bonn mit Frau Dr. Busch und Herrn Prof. Bartmann wird auch diesen Untersuchungsgang begleiten. Um die Aufgaben durchzuführen, werden weitere Mitarbeiter an allen Standorten zusätzlich eingestellt.

Mit herzlichen Grüßen, bleiben Sie gesund

 

Prof. Dieter Wolke                 Prof. Peter Bartmann             Dr. Barbara Busch