Newsletter Dezember 2019

Newsletter Dezember 2019

 

Liebe/r Studienteilnehmer/in,

vor 34 Jahren begann die Bayerische Entwicklungsstudie in Südbayern und im Jahre 2013 beendeten wir die letzte, umfangreiche Datenerhebung der Studie mittels Probandeninterviews, MRT-Untersuchungen und telefonischen Elterninterviews. Nach einer längeren Vorbereitungszeit ist es uns gelungen, im Rahmen der Förderung durch das europaweite Projekt mit dem Namen RECAP-preterm (www.recap-preterm.eu) die Studie fortzusetzen. Wir möchten uns ganz herzlich bei Ihnen für die Treue und wiederholte Teilnahme an unserer gemeinsamen Studie bedanken!

Wir blicken auf eine Reihe von Untersuchungsphasen zurück, welche die Bayerische Entwicklungsstudie weltweit zu einer der größten und wichtigsten Studien im Bereich der Frühgeborenenmedizin und der Entwicklung von neonatal gesund geborenen Kindern gemacht hat. Anhand eines Schaubildes möchten wir Ihnen den bisherigen Verlauf darstellen. Dies alles war nur durch Ihre Mitarbeit und Ihr Engagement möglich. Vielen Dank!!

 

Die Planung des Studiendesigns und die Suche nach Fördergeldern nimmt bei Studien immer eine sehr lange Zeit in Anspruch. Daher sind wir sehr froh, nun als Teil eines großen europäischen Projektes die Studie fortführen zu können. Dies ist eine hervorragende Chance zu erfahren, welche Effekte Frühgeburtlichkeit, aber auch Erfahrungen wie Beziehungen zu anderen Menschen (z.B. Eltern und Gleichaltrige), über die Kindheit bis ins frühe Erwachsenalter auf das private und berufliche Leben haben.

Wir arbeiten dabei im Rahmen des europäischen Projektes mit Kollegen von insgesamt 20 Studien aus Großbritannien, Norwegen, Finnland, den Niederlanden und anderen europäischen Ländern zusammen, die ebenfalls früh- und reifgeborene Kinder bis in das Erwachsenenalter begleiten. Die Zusammenarbeit erfolgt selbstverständlich ausschließlich mit komplett anonymisierten Daten, sodass keine Einzelpersonen identifiziert werden können. Dies ist die generelle Vorgehensweise bei Langzeitstudien, zu der auch die Bayerische Entwicklungsstudie gehört.

Die Zusammenarbeit wird uns erlauben, die Lebenswege bis ins Erwachsenenalter mit Studien aus anderen Ländern mit unterschiedlichen Schul-, Berufs- und sozialen Strukturen zu vergleichen. Sie sehen, dass die Bayerische Entwicklungsstudie von großem internationalem Interesse ist und durch Ihre Unterstützung und Mitarbeit können wir den Wert der Studie hochhalten.

 

Das BEST-Team:

Die Leitung der Studie liegt zum einen in den Händen von Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Wolke vom Psychologischen Institut der Universität Warwick (England). Prof. Wolke hat die Studie seit Beginn begleitet. Seit 1990 ist er Leiter der Studie, damals noch im Dr. von Hauner´schen Kinderspital der Universität München. Er und seine Mitarbeiter/innen sind für die Entwicklung und Supervision der Probandeninterviews und die Auswertung von Daten zuständig. Seit 2009 ist zusätzlich Herr Prof. Dr. Dr. Peter Bartmann vom Zentrum für Kinderheilkunde, Abteilung Neonatologie, der Universität Bonn Ko-Studienleiter.

Das Studienbüro befindet sich weiterhin in Bonn. Frau Dr. Busch, ebenfalls seit 2009 für die Studie tätig, ist inzwischen ausgebildete Kinderärztin und arbeitet in Teilzeit im Büro. Sie ist Ihnen aus Phase 4 von Briefen, Telefonaten und Telefoninterviews bekannt. Als neue Mitarbeiterinnen sind Frau Stahl als Studienassistentin und Frau Herbort  als medizinische Doktorandin in Bonn dabei. Zusammen werden sie die erneute Datenerhebung koordinieren und durchführen.

In Warwick/ England arbeitet Frau Baumann ebenfalls seit 2009 an der Studie mit. Als medizinische Dokumentarin ist sie von unschätzbarem Wert für die Qualität der Daten. Außerdem hat sie mehrere Publikationen über die Studie verfasst.

 

Studienergebnisse:

Wir möchten Sie gerne wieder über die neuesten Studienergebnisse informieren. Hierzu möchten wir Ihnen zwei Publikationen näher vorstellen. Falls sie die Originalarbeiten lesen möchten, finden sie diese auf unserer Webseite.

 

Liebesbeziehungen im Erwachsenenalter

Die erste Publikation ist von der Arbeitsgruppe in Warwick, England. Der Titel lautet „Association of Preterm Birth and Low Birth Weight With Romantic Partnership, Sexual Intercourse, and Parenthood in Adulthood: A Systematic Review and Meta-analysis.“ (Mendonça M, Bilgin A, Wolke D. JAMA Netw Open. 2019 Jul 3;2(7):e196961. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2019.6961.) oder die „Assoziation von Frühgeburtlichkeit und geringem Geburtsgewicht auf Liebesbeziehungen, Geschlechtsverkehr und Elternschaft im Erwachsenenalter“.

Unsere Mitarbeiterin Dr. Marina Mendonça aus der Studiengruppe in Warwick hat in einer Metaanalyse (Auswertung aller publizierten Daten zu einem Thema) untersucht, wie sich die sozialen Beziehungen von  Frühgeborenen im Erwachsenenalter entwickeln. Hierzu wurden 21 Studien mit insgesamt über 4 Millionen Studienteilnehmern analysiert.

Enge Partnerschaften erhöhen die Zufriedenheit und das Wohlbefinden körperlich und mental. Die Ergebnisse zeigen, dass es für Frühgeborene (vor 37 Schwangerschaftswochen (SSW) geboren) häufiger als bei Reifgeborenen schwieriger ist, solche Partnerschaften einzugehen, da sie oft schüchtern, sozial zurückgezogen und weniger risikobereit sowie spaßorientiert sind. Für Frühgeborene sinkt gegenüber Reifgeborenen die Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter eine Liebesbeziehung einzugehen um 28%, Eltern zu werden um 22%  und sie haben insgesamt 2,3 mal weniger häufig sexuelle Beziehungen.

Dieser Trend ist für Sehr-Frühgeborene, die vor 32 SSW oder unter 1500g  Geburtsgewicht geboren wurden und Extrem-Frühgeborene (vor 28 SSW oder weniger als 1000g Geburtsgewicht) jeweils noch stärker ausgeprägt.

Dennoch ist es so, dass die meisten Frühgeborenen romantische Beziehungen eingehen und wenn sie es tun, diese sogar ein wenig glücklicher sind als jene von Reifgeborenen.

Frühgeburtlichkeit ist mit  vermehrter Zurückhaltung, Schüchternheit, sozialem Ausgeschlossensein und geringerer Risikobereitschaft im Erwachsenenalter assoziiert.  Dies mag dazu führen, dass es für Frühgeborene schwieriger ist, Partner für romantische Beziehungen zu finden.

Prof. Wolke betont, dass Menschen, die frühgeborene Kinder betreuen, wie Lehrer und Eltern, sich bewusst sein sollten, wie wichtig die Rolle der sozialen Entwicklung und der sozialen Integration für diese Kinder ist. Da sie scheuer und zurückhaltender sind, sollten sie darin unterstützt werden, Freunde zu finden und in ihre Peer-Group integriert zu werden. Dies wird ihnen helfen, Partner für romantische Beziehungen zu finden und Eltern zu werden, was insgesamt ihr Wohlbefinden steigert.

 

Bessere Chancen trotz Geburtsrisiko

Als zweites möchten wir Ihnen eine Publikation von Tobey Nichols und unserer ebenfalls langjährigen Mitarbeiterin Frau Dr. Julia Jäkel vorstellen: „Differential susceptibility effects of maternal sensitivity in childhood on small for gestational age adults‘ wealth.“ (Nichols T, Jäkel J, Bartmann P, Wolke D. Dev Psychopathol. 2020 Feb;32(1):197-203. doi: 10.1017/S0954579418001669.) oder “Der differentielle Einfluss mütterlicher Einfühlsamkeit während der Kindheit auf den finanziellen Wohlstand junger Erwachsener, die bei Geburt zu klein für ihr Reifealter waren.

Untergewichtige Neugeborene sind empfänglicher für Umwelteinflüsse als mit Normalgewicht geborene Kinder. Small for Gestational Age (SGA) [englisch für ‚klein bezogen auf das Reifealter‘], beschreibt untergewichtige Neugeborene, die bei ihrer Geburt weniger wiegen als 90% aller Neugeborenen des gleichen Geschlechts, die in derselben Schwangerschaftswoche geboren wurden. Eine SGA Geburt gilt als mögliches Entwicklungsrisiko, das langfristig negative Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter haben kann.

Ist es vielleicht möglich, dass jene, die empfindsamer gegenüber der Umwelt sind, nicht nur durch negative Faktoren, wie weniger empfindsames Elternverhalten, negativ beeinflusst werden, sondern durch positives Elternverhalten besonders profitieren können? Daten von 438 Teilnehmer/Innen der Bayerischen Entwicklungsstudie (109 SGA Kinder und 329 für ihre Schwangerschaftsdauer normalgewichtige Kinder) gingen in die Analyse zur Beantwortung dieser Frage ein.

Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, dass SGA Kinder nicht nur empfänglicher für Umwelteinflüsse sind als normalgewichtig geborene Kinder, sondern dass eine einfühlsame Erziehung es ihnen ermöglicht, später ökonomisch erfolgreicher zu sein als Gleichaltrige. Durch die einfühlsame Erziehung haben SGA-Kinder die Unterstützung und das Gerüst, welches sie benötigen, um die Nachteile der Untergewichtigkeit auszugleichen und können so im späteren Leben erfolgreicher werden.

Dies ist ein wichtiges positives Signal für mögliche Investitionen in Programme zur Förderung einer verbesserten Eltern-Kind Beziehung von SGA Kindern.

Gerne können Sie durch einen Besuch auf unserer Website (www.bayerische-entwicklungsstudie.de) sich auch über weitere Publikationen des Teams der bayerischen Entwicklungsstudie informieren. Dort finden Sie auch detailliertere Auskünfte über die jetzt laufende Phase 5 sowie den Fortgang der Studie.

 

Ihre Teilnahme verändert die Versorgung: Von den Forschungsergebnissen zur Praxis

Ihre Mitwirkung in der Bayerischen Entwicklungsstudie und die damit erhaltenen Ergebnisse haben wesentliche Auswirkung auf die Versorgung von Neugeborenen und deren Begleitung über das weitere Leben. Z.B. konnten wir durch ihre wiederholte Teilnahme an motorischen und kognitiven Untersuchungen aufzeigen, dass wir Ende des zweiten Lebensjahres, allerdings nicht vorher, die Kinder mit langfristigen Motorik- und Lernproblemen identifizieren können. Diese Ergebnisse haben dazu beigetragen, dass in Deutschland und in vielen Ländern Europas Nachsorgeuntersuchungen einheitlich mit zwei Jahren durchgeführt werden. D.h. die Ergebnisse helfen neue Versorgungstandards zu entwickeln (siehe https://newborn-health-standards.org/).

Ähnlich haben die Ergebnisse zum Übergang in die Schule und Benachteiligung von Sommergeborenen (Jüngste in der Klasse) dazu beigetragen, in anderen Ländern die Rückstellung von der Einschulung gesetzlich zu erlauben.

Als letztes Beispiel haben z.B. die Ergebnisse der BEST dazu beigetragen, Informationsmaterial für Lehrer zu entwickeln, welche Auswirkungen eine Risikogeburt auf die Konzentrationsfähigkeit, das Mathematiklernen oder die sozialen Beziehungen hat, um betroffene Kinder besser zu unterstützen. Ihre Mitarbeit in der Studie verändert die Versorgung von Kindern weltweit!

Mit diesem Newsletter möchten wir uns für Ihr weiteres Interesse und die Teilnahme an der Studie bedanken und hoffen natürlich auf Ihre Bereitschaft, auch bei dieser Phase der Studie wieder so engagiert mitzumachen.

Für 2020 senden wir unsere besten Wünsche, bleiben Sie gesund und haben Sie Freude am Leben, auch wenn der Alltag vielleicht manchmal nicht so einfach ist.

 

Mit herzlichen Grüßen

Ihre

D. Wolke                  P. Bartmann                     B. Busch