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1. Die neuro-kognitive Leistungsfähigkeit von Erwachsenen im Alter von 26 Jahren, die zu früh oder mit sehr geringem Geburtsgewicht geboren wurden.
„Neuro-cognitive performance of very preterm or very low birth weight adults at 26 years.” Suna Eryigit Madzwamuse, Nicole Baumann, Julia Jaekel, Peter Bartmann, Dieter Wolke (J Child Psychol Psychiatry. 2014).
Es ist bekannt, dass zu früh geborene Kinder häufig kognitive Veränderungen (gemessen als Intelligenzquotient, IQ; dazu gehören z.B. Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, und Lernen) und Probleme mit exekutiven (höheren kognitiven) Funktionen (zum Beispiel schneller Wechsel zwischen unterschiedlichen Aufgaben) haben. Mit Hilfe der exekutiven Funktionen wird das menschliche Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen unserer komplexen Umwelt gesteuert. Dies umfasst z.B. das Setzen von Zielen, die strategische Handlungsplanung, die Entscheidung für Prioritäten, Impulskontrolle und die Aufmerksamkeitssteuerung. Unklar ist, ob diese Probleme bis ins Erwachsenenalter fortbestehen.
In unserer Studie wurden der IQ und die exekutiven Funktionen (EF) von Früh- und Reifgeborenen untersucht. Zusätzlich wurden die Effekte von Mangelgeburt (Kinder, die mit einem für ihre Schwangerschaftsdauer zu geringem Gewicht auf die Welt kamen) und familiärem sozioökonomischen Status bei Geburt betrachtet.
Die kognitiven Leistungen wurden mit Hilfe von mehreren Untertests des Wechsler Intelligenztestes (ein bekannter Standardtest) untersucht. Anschließend wurde ein Gesamt-IQ-Wert ermittelt.
Für die exekutiven Funktionen wurden mehrere Untersuchungen durchgeführt. Eine Untersuchung war der Strooptest (siehe unten). Hier müssen die Teilnehmer die Farbe benennen, in der ein Wort angezeigt wird. Üblicherweise ist das Lesen ein sehr automatisierter Prozess. Falls jedoch widersprüchliche Informationen an das Gehirn geliefert werden, muss dies erst verarbeitet werden. Im Strooptest wird beispielsweise das Wort „Rot“ in der Farbe Grün geschrieben. Dies führt zu einer verzögerten Antwort, da die Farbe und die Bedeutung des Wortes nicht übereinstimmen. Diese ungewohnte Situation erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit, Konzentration und Handlungsplanung.
Bei einem weiteren Test, dem VSAT (Visual Search and Attention Test), wurde der Teilnehmer gebeten, einen vorher gezeigten Zielbuchstaben in einer Abfolge von unterschiedlichen anderen Buchstaben zu erkennen. Mit Hilfe dieses Testes kann die visuelle Unterscheidungsfähigkeit und die Aufmerksamkeit gemessen werden.
Das kreative Denken bezeichnet die Fähigkeit, normalerweise übliche Denkmuster zu umgehen und eigene Problemlösungen zu entwickeln. Diese Denkweise kann positive aber auch negative Auswirkungen haben. In Unternehmen wird diese Denkweise beim „Brainstorming“, also der Lösungssuche in alle Richtungen gerne verwendet. Im Alltag kann diese Sprunghaftigkeit und Tendenz zum Ausschweifen aber auch sehr störend sein. Eine Möglichkeit, dies zu testen besteht darin, den Teilnehmer zu bitten, möglichst viele Wörter aus einer bestimmten Kategorie (z.B. Pflanzen) zu nennen.
Nach Auswertung der Testergebnisse zeigte sich, dass die Gesamtgruppe der Frühgeborenen (dies gilt also nur für die Durchschnittswerte der Gruppe und nicht jede einzelne Person) beim Gesamt-IQ und den EF insgesamt schlechter abschnitt als Reifgeborene. Diese Probleme blieben unverändert bis ins Erwachsenenalter bestehen. Die Ergebnisse deuteten außerdem darauf hin, dass Frühgeborene im Erwachsenenalter eher mehrere kognitive Einschränkungen hatten und diese nicht auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt waren.
Das Vorliegen einer Mangelgeburt hatte keinen Effekt auf die Untersuchungsergebnisse. Dies weist wahrscheinlich auf die Kompensationsmöglichkeiten des Gehirnes hin, welches nach einer Unterversorgung in der Schwangerschaft die Defizite nach der Geburt wieder aufholen kann. So sind vielleicht bei Erwachsenen die Probleme der Mangelgeburt im Bereich der kognitiven Leistung „ausgewachsen“ und nur auf die Kindheit beschränkt. Dies ist ein sehr positives Ergebnis.
Insgesamt wurden die schon in anderen Studiengruppen gefundenen Probleme bestätigt. Fähigkeiten wie die kognitive Flexibilität, Impulshemmung, visuelle Unterscheidungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Wortflüssigkeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit sind bei Frühgeborenen oft verändert. Allerdings waren die Unterschiede in diesen Bereichen geringer ausgeprägt als beim Gesamt-IQ. Bereits bei den Untersuchungen im Alter von 6 Jahren konnten wir zeigen, dass bei Frühgeborenen insbesondere Defizite bei der Verarbeitung von gleichzeitig dargebotenen Informationen auftreten, also der komplexen Aufgabenbewältigung.
Der familiäre sozioökonomische Status (SES) hatte einen sehr starken Effekt auf den Gesamt-IQ. Dies zeigte sich bei Früh- und Reifgeborenen auch noch im Erwachsenenalter. Allerdings war das Risiko für einen niedrigeren Gesamt-IQ bei Frühgeborenen doppelt so stark ausgeprägt wie bei Reifgeborenen. Ein hoher SES kann kompensatorisch auf den Gesamt-IQ wirken. Das heißt, dass Kinder in Familien mit hohem SES insgesamt bessere IQ-Werte erreichen. Dennoch war der Gesamt-IQ bei Frühgeborenen mit hohem SES im selben Bereich wie bei Reifgeborenen mit geringem SES.
Dieser Effekt war im Erwachsenenalter sogar noch stärker ausgeprägt als in der Kindheit, was wahrscheinlich mit kumulativen Effekten von Erziehung, Familienverhältnissen und den Zugangsmöglichkeiten zu Bildungsangeboten während der gesamten Lebenszeit zu erklären ist. Unterschiedliche Effekte während des Lebens addieren sich mit der Zeit. Niedrige IQ-Werte in der Kindheit werden also bei Erwachsenen, die in einer Familie mit niedrigem SES aufwachsen, weiter verschlechtert.
„Working Memory in Preterm-Born Adults: Load-Dependent Compensatory Activity of the Posterior Default Mode Network“ Daamen M, Bäuml JG, Scheef L, Sorg C, Busch B, Baumann N, Bartmann P, Wolke D, Wohlschläger A, Boecker H. (Hum Brain Mapp. 2015)
Frühere Studien haben gezeigt, dass Frühgeborene im Vergleich zu Reifgeborenen eine verminderte Arbeitsgedächtnisleistung zeigen. Unter dem Arbeitsgedächtnis versteht man einen Teil des menschlichen Erinnerungsvermögens, der für die vorübergehende Speicherung und Veränderung von Gedächtnisinhalten verantwortlich ist. Die verminderte Arbeitsgedächtnisleistung von Frühgeborenen könnte möglicherweise auch mit einer veränderten Gehirnaktivität einhergehen. In der vorliegenden Studie untersuchten wir deshalb die Arbeitsgedächtnisleistung von 73 früh- und 73 reifgeborenen Erwachsenen bei wechselndem Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellung während sie im Magnetresonanztomographen (MRT) lagen. Dabei wurden den Teilnehmern über einen Bildschirm nacheinander verschiedene Buchstaben präsentiert (z.B. „M – X – L – F – F – …“). Das Experiment war in drei Aufgabenbedingungen unterteilt, die sich mehrmals wiederholten. In der ersten Bedingung (sog. „0-Back“) bestand die Aufgabe der Teilnehmer darin, immer dann mit dem Zeigefinger einen Knopf zu drücken, wenn am Bildschirm der Buchstabe „X“ erschien.
In der zweiten Bedingung (sog. „1-Back“) sollten die Teilnehmer reagieren, wenn der am Bildschirm gezeigte Buchstabe identisch mit dem vorhergehenden war (z.B. „F – F [>> press <<]“). In der dritten Bedingung (sog. „2-Back“) mussten die Teilnehmer den Knopf drücken, wenn der präsentierte Buchstabe identisch mit dem vorletzten war (z.B. „C – S – C [>> press <<]“).
Die verschiedenen Blöcke unterschieden sich also im Schwierigkeitsgrad, wobei die „2-Back“ Bedingung am „schwersten“ war, da andauernd die letzten beiden Buchstaben im Kopf behalten werden mussten. Beide Gruppen – also früh- und reifgeborene Erwachsene – meisterten die Aufgabe gleich gut. Dies ist ein überraschend positives Ergebnis, das uns sehr erfreut hat. Zudem aktivierten beide Gruppen ähnliche Gehirnareale, während sie die Aufgabe absolvierten. Auffallend war jedoch, dass die Frühgeborenen unter der schwierigsten Bedingung („2-Back“) bestimmte Gehirnregionen, die dem sog. „Default Mode Netzwerk“ (DMN) zugeordnet werden, im Vergleich zu den Reifgeborenen stärker „de-aktivierten“. Das DMN zeichnet sich gewöhnlich dadurch aus, dass es im Ruhezustand (also z.B. während man seinen Gedanken freien Lauf lässt) stärker aktiv ist, als in Situationen, in denen wir unsere Konzentration auf äußerliche Reize fokussieren müssen (also z.B. während man eine anstrengende Aufgabe bewältigen muss.). In diesem Sinne wird vermutet, dass das menschliche Gehirn die DMN-Regionen (und die dort ablaufenden freien Gedankenprozesse) zeitweilig „herunterregelt“, um sich besser auf die eigentlich wichtige Aufgabe konzentrieren zu können. Die Tatsache, dass frühgeborene bei zunehmender Aufgabenschwierigkeit eben diese Regionen stärker de-aktivierten während sie eine ebenso gute Leistung wie die reifgeborenen Erwachsenen erzielten, interpretieren wir als eine kompensatorische Leistung des Gehirns.
Diese Graphik zeigt Gehirnregionen (linke Graphik, gelbe Bereiche im Gehirn), die Frühgeborene (VP/VLBW) während der „2-Back“ Bedingung im Vergleich zu den Reifgeborenen (Controls) stärker de-aktivierten
Die Bayerische Entwicklungsstudie hat vom Koordinierungszentrum für Klinische Studien Düsseldorf (KKSD) für alle vier Studienstandorte die Audit-Zertifikate erhalten.
Im Studienbüro Bonn umfasste dies die Einsicht in den Ethikantrag, die Studiendokumente und Versicherungsunterlagen, die Kontrolle über die Einhaltung des Datenschutzes und die vertraglichen Vereinbarungen mit den Studienpartnern in Bonn, Augsburg und München. Für den Studienstandort Augsburg wurden beim Audit zusätzlich zum Datenmanagement die Prozesse und Strukturen der Probandeninterviews und die Datenqualitätschecks überprüft. Bei den beiden MRT-Untersuchungszentren in Bonn und München wurde zudem insbesondere auf die Kontrolle und Dokumentation der medizinischen Eignung der Teilnehmer, sowie die Sicherheit und Kontrolle des Untersuchungsraumes geachtet.
Die vom KKS-Düsseldorf vorgeschlagenen Ergänzungen wurden nachgearbeitet und so konnten uns die vier Zertifikate ohne Vorbehalte ausgehändigt werden. Dies bedeutet, dass die Studie aufgrund der Kontrolle durch ein unabhängiges Institut nach höchstem wissenschaftlichem Qualitäts-Standard durchgeführt wurde.
Das Studienbüro in Bonn ist weiter mit Frau Dr. Barbara Busch und Herrn Christian Koch besetzt. Wir arbeiten hier an zwei Tagen in der Woche. Falls Sie uns nicht telefonisch erreichen, können Sie uns gerne eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen oder uns eine Email an best@ukb.uni-bonn.de schicken!
Leider wurde der von uns beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingereichte Antrag auf Verlängerung der Studie über weitere sechs Jahre nicht bewilligt. Das hat uns zunächst sehr enttäuscht, da wir schon die ersten Vorbereitungen für eine weitere Untersuchungsphase getroffen hatten. Dennoch bedeutet dies nicht das Ende für die Studie!
Wir sind sehr froh, mit unserer langjährigen Mitarbeiterin Frau Dr. Dipl. Psych. Gabi Schmid eine neue Untersuchungsreihe in München durchführen zu können. Diese Substudie kümmert sich um die sogenannten „moderat Frühgeborenen“. Die übliche Schwangerschaftsdauer beträgt 37-42 Wochen. In unseren vorangegangenen Untersuchungen haben wir neben den Kontrollteilnehmern, die in diesem Zeitraum geboren wurden, die Gruppe der frühgeborenen Teilnehmer untersucht. Diese Teilnehmer waren vor 32 Schwangerschaftswochen oder mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g auf die Welt gekommen. Für diese Kinder besteht ein sehr hohes Risikopotential für das Auftreten von gesundheitlichen Problemen und Entwicklungsstörungen. Die Gruppe der sogenannten „moderat Frühgeborenen“ umfasst alle Kinder, die zwischen 32 und 36 Schwangerschaftswochen geboren wurden. Diese Kinder haben oft nur geringe gesundheitliche Probleme nach der Geburt und in der weiteren Entwicklung, es werden aber im Vergleich zu sehr frühgeborenen Kindern weit mehr von ihnen geboren. Daher ist es besonders wichtig, auch diese Gruppe der Frühgeborenen zu untersuchen.
Die neuen Untersuchungen laufen seit Ende März und umfassen wie bisher ein psychologisches Interview und, falls der Teilnehmer/ die Teilnehmerin dazu bereit ist, auch eine Kernspinuntersuchung.
Eine unserer verbleibenden Hauptaufgaben ist es, mit Ihnen, den über 1100 Teilnehmern der Studie und Ihren Eltern Kontakt zu halten. Dies kann nur gelingen, wenn wir immer aktuelle Kontaktdaten von Ihnen haben. Wir arbeiten daher fortlaufend daran, Kontakt zu Ihnen zu halten bzw. den Kontakt zu den Teilnehmern und Eltern aufzubauen, die wir trotz aller Bemühungen noch nicht auffinden konnten. Daher möchten wir Sie ganz herzlich bitten, auch von Ihrer Seite aus den Kontakt mit uns zu suchen, z.B. indem Sie uns Ihre neue Adresse, Telefonnummer oder Email-Adresse mitteilen. Vielen Dank an diejenigen unter Ihnen, die uns Änderungen bisher selbständig mitgeteilt haben! Auch wenn Sie an der BEST nicht aktiv teilnehmen können oder wollen, ist uns die Verbindung zu Ihnen sehr wichtig.
Im Namen des gesamten BEST-Teams grüßen aus dem Bonner Studienbüro herzlich
Prof. Dr. Dr. Peter Bartmann Dr. Barbara Busch Dipl.-Soz. Arb. Christian Koch.